Für die Verwaltung klingt die Abkehr von Zuständigkeiten und hierarchisch strukturierter Zusammenarbeit exotisch bis unrealistisch. Trotzdem zeigt sich bereits in technologisch innovativen (z.B. zur Vorbereitung der Digita-lisierung der Verwaltung) oder sozial brisanten Bereichen (z.B. Integration), dass sich ohne agile, projektorientierte Arbeitsprozesse auch in der Verwaltung keine zufriedenstellenden bzw. nachhaltigen Ergebnisse erzielen lassen. Im Oktober 2018 überraschte der Bundesminister für Arbeit mit der Gründung einer Denkfabrik für Digitalisierung mit agilen Komponenten. Nichts ist unmöglich!
Die Strategie für eine zukunftsfähige Verwaltung muss sich also dahingehend entwickeln, dass auf unterschiedlichen Ebenen die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit in gemeinsamer/geteilter Verantwortung (shared Leadership) geschaffen werden: auf der individuellen Ebene werden zunehmend Kompetenzen relevant, die konstruk-tive Zusammenarbeit ermöglichen (Kommunikation, persönliche Reife, Kooperations- und Entscheidungskompetenz sowie Perspektivenübernahme). Organisationskultürliche Faktoren (z.B. Openmindedness, Transparenz in Entscheidungs- und Informationsprozessen und Abkehr von Säulendenken) sind ebenso wichtig wie eine gedeihliche Fehlerkultur. Nicht zu vernachlässigen sind Strukturen, die selbstorganisiertes Handeln unter einem gemeinsamen Kodex oder selbstständiges Handeln in einem umrissenen Rahmen ermöglichen.
Verwaltung ist kein Start-up. Es ist illusorisch und auch nicht zweckdienlich, dass Verwaltung „Agilität“ zum einzig erstrebenswerten Grund-prinzip erhebt. Angesichts der zu erwartenden, erhöhten Komplexität und Schnelligkeit von Veränderung ist es aber wahrscheinlich, dass es Aufgabengebiete geben wird, für die fluide und hierarchiearme Formen der Zusammenarbeit zielführender sind als tradierte Arbeitsformen.
Finden Sie heraus, ob das „agile“ Prinzip der Selbstorganisation für ihr aktuelles oder zukünftiges Aufgabengebiet Vorteile hat. Ein möglicher Indikator dafür ist, ob sich Lösungen überwiegend inter- oder multidisziplinär lösen lassen. Je eher man für die Lösung von Problemen oder zur Aufgabenbearbeitung verschiedene Perspektiven benötigt, desto wahrscheinlich ist es, dass über Säulen hinweg diskutiert, gearbeitet und entschieden werden soll und muss. Nutzen Sie in Zusammenhängen, die multiperspektivisch angelegt sind, die Chance, auch die Art der Zusammenarbeit im kleinen Rahmen - hin zu mehr Agilität - zu verändern.
Für die Zusammensetzung von Arbeitsgruppen und Teams (Projektteams) ist in der Verwaltung zuweilen die Funktion wichtiger als das spezifische Kompetenzprofil. Finden Sie heraus, wieviel Spielraum Sie für eine potenzial- und kompetenzgeleitete Zusammensetzung in Arbeitsgruppen haben. Nutzen Sie solche Spielräume, aber vergessen Sie nicht, die Rollen und Erwartungen nach innen und außen zu klären.
Wenn Sie sich für ein Arbeiten in geteilter Verantwortung entschieden haben, übernehmen Sie als Führungskraft Verantwortung für diese "Zusammenarbeit unter neuen Vorzeichen". Rechnen Sie mit Widerständen und dauerhaft wirksamen Anpassungsbedürfnissen – im Team oder im Umfeld. Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Teamorientierung und Mitbestimmung fordern, sind sie nicht automatisch gute Teamplayer. Was es heißt, Eigenverantwortlichkeit für Arbeitsergebnisse zu übernehmen, müssen Mitarbeitende, die bisher maximal Delegation "erlebt" haben, erst einüben. Lassen Sie ihre Mitarbeiter/-innen in diesem Veränderungsprozess nicht allein, sondern bereiten Sie sie und den Prozess vor. Steuern sie den Prozess im Unternehmenskontext und verteidigen sie Ihre Vorgehensweise. Und rechnen Sie nicht damit, dass Sie sofort erfolgreich sind oder Ihre Bemühungen Anerkennung ernten bzw. beklatscht werden.
Die Hürden für agiles Führen und Arbeiten sind in der Verwaltung besonders groß. Denn meint man es ernst, wird die hierarchische Führung, die in der Verwaltung häufig noch durch Macht legitimiert ist, einem Verständnis weichen, das einen eher dienenden Charakter hat oder „Augenhöhe“ zum Prinzip erklärt. In Anlehnung an transformationale Führungsmodelle ist also für agile Führung weniger die "Macht der Führungskraft" als das „Vorbild Führungskraft“ relevant.